W. Harris: The New Face of Lebanon. History's Revenge

: The New Face of Lebanon. History's Revenge. Princeton 2006 : Markus Wiener Publishers, ISBN 1-558-76392-9 346 S. $ 59.95

Tueni, Ghassan; Khoury, Eli (Hrsg.): The Beirut Spring. . Beirut 2005 : Edition Dar an-Nahar, ISBN 9-953-74080-1 300 S., 1 CD $ 100.00

Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Wolfgang G. Schwanitz, Burlington County College, New Jersey

In Beirut gab es wieder einmal politische Manipulationen und ein pro-syrisches Kabinett, das freilich nicht mehr den mehrheitlichen Hoffnungen der Einwohner Libanons gerecht werden konnte. Da waren es zuerst Studenten der Hauptstadt, die ihre Wut über solche Verhältnisse auf die Strasse getragen haben. Spontan formte sich ein Aktionsbündnis aus einer Handvoll politischer Parteien und Bewegungen mit nur einer Forderung: Syrien sollte seine Streitkräfte aus dem Land der Zedern abziehen. So geschah es am 19. November 2004. Elf Tage später folgte eine erste Grosskundgebung auf dem Beiruter Märtyrer-Platz, um die aufkommende Enttäuschung gegenüber dem Beschluss des UN-Sicherheitsrats 1559 anzuzeigen. La révolution du Cèdre oder auch der Beiruter Frühling, rabi'a bairut, nahmen ihren Lauf.

Was war geschehen? Jener am 2. September 2004 verabschiedete UN-Beschluss forderte zwar, dass Libanons Souveränität respektiert und alles ausländische Militär von dort abgezogen werde. Aber er nannte Syrien, um das es ging, nicht beim Namen. Mehr noch. Der Beschluss enthielt auch keine Sanktionen im Falle seiner Nichtausführung. Überdies wurde kein, wie es noch im Beschlussentwurf enthalten war, sofortiger Abzug der syrischen Truppen verlangt.

Dennoch bildete die Resolution 1559, für die neun der 15 Mitglieder im Sicherheitsrat stimmten (übrige enthielten sich), einen Meilenstein auf dem Weg der Unabhängigkeit Libanons. Tags darauf, so erzählen nun die Verleger Ghassan Tueni und Eli Khoury sowie die Editorengruppe die Geschichte des Beiruter Frühlings, haben 96 Abgeordnete des Parlaments für eine dreijährige Verlängerung der Amtsperiode des pro-syrischen Präsidenten Emile Lahoud gestimmt, darunter Premier Rafic Hariri. Nur 29 stimmten dagegen. Zehn Abgeordnete sprachen offen von den Gefahren dieser Verlängerung. Sie sei ein Rezept für Desaster. Eine Kette von Attentaten, Mordversuchen und Explosionen durchzog ehedem das Land. Ein Anschlag richtete sich gegen den Abgeordneten Marwan Hamade Anfang Oktober. Obwohl die Detonation Beirut erschütterte, überlebte er schwer verletzt.

Premier Hariri legte sein Amt Ende Oktober 2004 nieder. Er lehnte es ab, unter solchen Umständen eine Regierung zu bilden. Wenige Tage später formte Premier Omar Karami ein pro-syrisches Kabinett. Die Ereignisse überschlugen sich. Bis Mitte Dezember 2004 verlangten mehrere Demonstrationen die Unabhängigkeit von Syrien, das sich zu einem Teilabzug gezwungen sah. An der Wende zu 2005 trafen sich Oppositionelle um Walid Jumblatt und fragten: „Werden Libanesen Freiheit und Demokratie wählen oder Geheimdienste und Bevormundung“?

Das nun folgende Tauziehen, das sich oft im Dreieck Beirut-Damaskus-Paris abgespielt hat, drehte sich gleichwohl um eine Revision des Wahlgesetzes mit seinen Wahlbezirken. Das war eine Frage, die die Opposition tief spalten konnte. Alle pro-syrischen Kräfte machten mobil, darunter Premier Karami, Nabih Berri, 17 Minister, 35 Abgeordnete des Parlaments und Vertreter von 23 Parteien, darunter Hizballah-Generalsekretär Hassan Nasrallah: der UN-Beschluss 1559 wäre eine flagrante Einmischung in Libanons innere Angelegenheiten.

Am 14. Februar 2005 riss ein gewaltiger Bombenanschlag Rafic Hariri und 22 weitere Libanesen in den Tod, darunter das Parlamentsmitglied Basel Fuleihan. Dies geschah mittags, am helllichten Tag, nachdem die Autos das Parlament verlassen hatten. Ein Schock durcheilte das Land. Eindrückliche Bilder birgt dazu nicht nur dieser Band, sondern auch die beiliegende CD. Doch die Drahtzieher, mutmaßlich aus den Reihen der Geheimdienste Syriens und Libanons, hatten damit das Fass zum Überlaufen gebracht. Die Kette der Demonstrationen, die sich direkt gegen das Damaszener Regime richteten, wurde länger. „Wir leben in einem terroristischen System, das von Syrien unterstützt wird“, meinte der Politiker Jumblatt. Die Stimmen in den Medien zielten in die gleiche Richtung. Die Opposition proklamierte nun eine demokratische und friedliche Revolution für die Unabhängigkeit. Zwei Forderungen wurden laut: der Rücktritt der Regierung und der Abzug der syrischen Truppen. Auf Beiruts Märtyrer-Platz schlug die Trauer in Wut um, was abertausende Menschen anzeigten.

Einer der bekanntesten Journalisten war Samir Qasir. Dem syrischen Regime warf er im März 2005 vor, seine militärische und geheimdienstliche Präsenz in Libanon als Instrument der Bevormundung benutzt zu haben. Die beiliegende CD porträtiert Qasir in einigen seiner Debatten im libanesischen Fernsehen. Am 2. Juni 2005 zahlte er für seinen Mut mit dem Leben. Auch ihn, dessen letztes Buch jetzt auf Deutsch vorliegt 1, tötete eine Autobombe.

Wer in dem reich bebilderten und dokumentierten Band blättert, sieht Plakate wie „Istiqlal - Unabhängigkeit 05“, „United We Stand, Divided We Fall“, „Suriya Barra – Syren raus“, „Syrial Killer“ oder Li-Ajli Lubnan – für Libanon“ beim Freiheitsmarsch von einer Million Libanesen in Beirut am 14. März 2005. Sie, Muslime und Christen, schworen, vereint zu bleiben und das Land zu verteidigen. Als dann noch Demokraten wie George W. Bush und Jaques Chirac den sofortigen Truppenabzug Syriens aus dem Libanon gefordert haben, da war dies eine starke Hilfe für die junge Nationalbewegung. Deutschen, die ihre Einheit erlebt haben, mag es leicht fallen, sich in die Gefühle der Libanesen zu versetzen, die den Abzug des syrischen Militärs bis zum 27. April 2005 erreicht haben. Damit gingen fast drei Dezennien der militärischen Besetzung durch Syrien zu Ende.

Bekanntlich galt der Libanon vor einem halben Jahrhundert als nahöstliche Schweiz. Heute liegt das Land in Asche und Trümmern. Ja, es droht erneut in den Bürgerkrieg zu sinken. All dies erhellt William Harris, der an der neuseeländischen Universität von Otago lehrt und selbst lange in Beirut gelebt hat, in diesem „Gesicht Libanons“. Dessen Züge wandeln sich dramatisch, indem Akteure wie die Hizballah das Machtvakuum nach dem hart erkämpften Abzug der Syrer zu füllen beginnen. In der Metropole am Meer, wo die Hälfte der vier Millionen Einwohner lebt, sind solche Schiiten auf dem Vormarsch. Damaskus und Teheran wetteifern um sie als Sponsoren, die extrem feindselig gegenüber Israel auftreten.

Harris zeigt auf einem Foto von 1995 ein Posterschild am Straßenrand Baalbeks zum Berg Libanon. Das Schild stammt von der Hizballah, die in ihrem Logo behauptet, die Mehrheit zu sein. Ihr Poster birgt den Umriss eines israelischen Soldaten. Sein Schatten umfängt die Al-Aqsa-Moschee, ein Heiligtum des Islams. Darunter steht auf Iranisch, Arabisch und Englisch eine völlig unmissverständliche Botschaft: „Israel muss zerstört werden“. Libanon erscheint als heiss umkämpftes Hinterland dieses arabisch-israelischen Konfliktes, in dem auch ferne Seiten wie islamistische Iraner und nahe Nachbarn wie die Syrer ihre Klientel aufgepäppelt haben.

Ein Jahrzehnt später war William Harris wieder vor Ort, diesmal an der Uferstrasse, wo im Jahre 2005 Premier Rafiq al-Hariri und weitere 21 Menschen seines Gefolges durch das Bombenattentat ermordet worden waren. Indizien wiesen nach Damaskus, das damit ungewollt die Zedern-Revolution ausgelöst hat. Denn diese Kette von Demonstrationen, gemeinsam unterstützt durch Washington und Paris, beendete im Libanon die direkte syrische Präsenz.

Dass Damaskus aber nach dem April 2005 noch großen Einfluss hat, bezeugten ebenso die nachfolgenden Ermordungen von national gesinnten Journalisten und Politikern wie Samir Qasir und Pierre al-Gumail. Laut Harris falle es schwer, etwas Positives an der syrischen Vormacht im Libanon in den vorherigen anderthalb Jahrzehnten zu finden. Es war doch nicht die syrische Präsenz, die es Anhängern der Hizballah ermöglichte, im Süden des Libanons als „Befreier“ gegen die Israelis aufzutreten. Vielmehr hätten diese mit der Besetzung dieses Landesteils seit 1983 in das bekannte Hornissennest der Hizballah gestochen. Die Syrer dagegen versuchten, den israelischen Rückzug aus dem Süden zu bremsen. Denn die dortige israelische „Sicherheitszone“ habe Damaskus einen Vorwand für die Hegemonie auch in der libanesischen Metropole geliefert. Ebenso sei das Argument inakzeptabel, betont Harris, die Libanesen hätten der syrischen Armee für Stabilität bedurft.

Der syrisch-libanesische Geheimapparat unterdrückte die Entfaltung einer zivilen Gesellschaft im Land der Zedern, das sich noch von den anderthalb Jahrzehnten des Bürgerkrieges seit Mitte der 70er Jahre erholen musste. Um diesen ohnehin schon fragmentierten Staat zu beherrschen, habe Damaskus die Spaltungen der Libanesen noch vertieft. Die Behauptung, diese seien Wilde und bedurften einer harten Hand, sei nur beleidigend. Vielmehr habe Syrien den Wiederaufbau Libanons verlangsamt. Ein erneut aufblühendes Land wäre ein zu starker Rivale für die Syrer gewesen. Ein starker Libanon hätte auch viel mehr Druck zugunsten eines Abzugs der Israelis ausgeübt. Und daran sei Damaskus nicht interessiert gewesen. Kurz, Syrien habe dem Libanon 15 Jahre gestohlen.

Diese Thesen von William Harris haben viel für sich. Zudem erlangt der jüngste Weg Libanons eine erschreckende Dimension. Es sei nur an das arabische Wort lubnana erinnert. Diese Libanisierung meint den Zerfall eines Staates durch dessen innere Atomisierung nach Ethnien und Religionen. Auf der regionalen Ebene stand dafür schon einmal Balkanisierung. Solche Szenarien machen infolge einer global anschwellenden Migration um keinen Erdteil mehr einen Bogen. In diesem Sinne weist das jüngste Werk des Neuseeländers über die libanesischen Verhältnisse hinaus, zumal es Einsichten aus seinen vorherigen Büchern wie The Levante und Faces of Lebanon birgt.2 Allein ein politischer Pluralismus weist den Ausweg, sagt William Harris. Alle Gemeinschaften müssen sich dabei wieder finden und eine faire Rolle in der Identität und der Entfaltung Libanons erhalten.

Doch die aktuelle Lage stimmt nicht gerade optimistisch. Es sieht so aus, als ob der Libanon mit der Hizballah einer Bewegung anheimfällt, mit der es aufgrund ihrer tiefen religiösen Dogmen kaum Verhandlungen geben kann. Wie soll denn zum Beispiel Israel mit ihr umgehen, wenn sie die Verdrängung des jüdischen Staates und der „Ungläubigen“ (Juden wie Christen) auf ihr grün-gelbes Banner geschrieben hat? Harris bietet für das Dilemma keine Zauberformel an. Aber er hat ein exzellentes Buch zur aktuellen Politik und Geschichte des Libanons vorgelegt. Dieses Buch und der Dokumentenband von Ghassan Tueni und Eli Khoury sind Fundgruben der libanesischen Zeitgeschichte.

Anmerkung:
1 Samir Kassir: Das arabische Unglück. Aus dem Französischen von Ulrich Kunzmann. Hans Schiler Verlag, Berlin 2006.
http://www.fr-online.de/in_und_ausland/kultur_und_medien/literatur/?em_cnt=966679
2 William Harris: The Levant. A Fractured Mosaik. Markus Wiener Publishers, Princeton 2003.
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/type=rezbuecher&id=34373437

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15.06.2007
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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